Schreibtischtäter

Während der siebziger und frühen achtziger Jahre gab es in Klauers Freiluftakademie ein allem übergeordnetes Pflichtfach: die Steinbildhauerei. Das veröffentlichte Programm wusste auch von anderen künstlerischen Disziplinen, aber an der Frage „Was machst du am Stein?“ kam niemand vorbei.

Vor jungen Leuten, die sich nicht in gegebene Rahmen fügen, ist man nirgends sicher. Einige neigen zum Zertrümmern, andere zu Dehnübungen. Wir - Andreas Merzhäuser und ich - waren jung seinerzeit. Schätzungsweise ab 1983 nannte Albrecht uns in bestimmten Situationen „die Herren von der Literatur“. Womit hatten wir uns diese heikle Branchenbezeichnung eingehandelt?

Nennen wir es eine Lehrplanausweitung.
Bei Null setzten wir nicht an. Marianne Leppin und Kurt Behn zum Beispiel hatten sich schon zuvor beim Symposion diskret mit dem Schreiben beschäftigt. An Ausnahmetagen gab es Lesungen. Doch das reichte uns nicht. Wir wollten in die Mitte, probten den Aufstand, zogen als Verfechter der Wortkunst übers steinbeherrschte Gelände. Unser Antrieb war, Literatur als autonomes Wahlfach im Symposion durchzusetzen. Wir wollten ein Schreiben praktizieren dürfen, das nicht durch die Platzanweisung gedeckelt war, den Bildenden Künsten dienlich zu sein. Ein Schreiberdasein mit eigenen Freiheitsrechten und eigenem künstlerischen Anspruch, das schwebte uns vor.

Albrechts hohe Stirn war es, gegen die wir mit unseren Stiftgeweihen anrannten. Denn gerade aus seinen Worten, die uns so viel bedeuteten, hörten wir mit empfindlichen Ohren eine Geringschätzung heraus. Zwischen den Zeilen beschied er uns immer wieder, für einen unbekehrbaren Schriftsprachler sei es doch eine lohnende Aufgabe, um die Werke der hiesigen Bildner zu kreisen. Davon träumste Alter, ohne uns!

Wir gründeten die „Eifler Strandboote“, waren Texter, Gestalter, Herausgeber, kennzeichneten das Blatt mit einem Untertitel der Anhänglichkeit („Kladde für das Symposion Weißenseifen“) und luden Klauers gesamte Gemeinde zum Mitspielen ein.

Aus 30 Jahren Abstand bleibt zu diagnostizieren: Die Zeitschrift war nicht die Initiative, auf die alle gewartet hatten. Wir brachten es auf fünf textzentrierte Ausgaben, in denen kein Hausverbot für Bilder galt. Das letzte Heft, zwanzig schwarzweiß kopierte DIN-A4-Seiten mit der Datierung 1. Januar 1985, liegt gerade vor mir. Unsere produktivsten Schubgeber - Viola Brück, Georg Krefeld, Remo Pauquet - waren bis zum Schluss an Bord geblieben. Doch die Herausgeber befanden, dass es so nicht mehr weitergehe, und sinnierten im Eingangsgespräch über das „Fertigsein“ und „Zu-Wege-Bringen“.

Den Untergang unserer „Strandboote“ feierten wir gigantomanisch mit der „Ersten Literarischen Großkultgebung“ im Symposion 1986. Der Weißenseifener Underground erhob sich. Einen ganzen Augusttag lang hauten die Schreiber mit Lyrik, Prosa, Chorgesang, Textmusik und Performance auf die Pauke. Niemandem auf der Lichtung wollten wir die Chance lassen, uns zu ignorieren. Das gelang. Schöner war aber zu erleben, wie selbst die notorischsten Pflichtfächler das Festival der Außenseiter genossen. Albrechts Augen glänzten, als wir ihm das handsignierte Exemplar unseres rauschhaften Eröffnungsgedichtes übergaben.

Nach dem Scheitern der Zeitschrift und dem großen Abgesang betrieben wir im Symposion für ein paar Sommer eine „Schreibwerkstatt“: Beschreiben, Dichten, Erzählen, Spinnen, Spielen; durch Los vorgegebene Themen; ein bis zwei Stunden Schreibzeit pro Sitzung, freie Hand bei der literarischen Angehensweise, abschließender Vorlesekreis. Manchmal waren wir drei, selten mehr als zehn. Beim Camphäuptling mussten wir die Freistellung vom Hauklotz jetzt nicht mehr beantragen. Wenn er den Fäustel sinken ließ, blieb sein Blick oft an uns Blattwerklern hängen. Dann hatte ich bisweilen den Eindruck, Albrecht sei imstande, sich über den Wildwuchs in seinem Steingarten zu freuen.

Seep Jakobs, Gonterskirchen

 

Weitere Dozenten:
Andreas Merzhäuser, London
Marianne Leppin †
Kurt Behn †
Nada Vitz, Oedt
Ina Froitzheim, Balesfeld